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Mehr Sicherheit bei der Medikation von Kindern

Mehr Sicherheit bei der Medikation von Kindern

Neue evidenzbasierte Datenbank unter Erlanger Federführung unterstützt Ärzte und Apotheker – Informationen jetzt online

Nur ein kleiner Teil der Arzneimittelpräparate in Deutschland ist speziell für Kinder und Jugendliche zugelassen. Oft fehlen Angaben zur genauen Dosierung und zu kindgerechten Darreichungsformen. Dieser Umstand zwingt Ärzte regelmäßig zum sogenannten Off-Label-Use, also zur Verschreibung eines Medikaments ohne die für diesen Zweck explizite Zulassung durch die Arzneimittelbehörden. „Das ist kein Idealzustand – keine Frage. Kein Arzt und kein Apotheker macht so etwas gerne oder leichtfertig“, bestätigt Prof. Dr. Antje Neubert, Apothekerin und Wissenschaftlerin in der Kinder- und Jugendklinik (Direktor: Prof. Dr. Joachim Wölfle) des Universitätsklinikums Erlangen. „Um allen Beteiligten mehr Sicherheit zu bieten, haben wir eine evidenzbasierte Datenbank entwickelt. Darauf können deutschlandweit Ärzte, Apotheker, Therapeuten und Pflegefachkräfte kostenlos zugreifen und nachlesen, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse es zur Verordnung der gelisteten Medikamente bei Kindern und Jugendlichen gibt.“ Das Projekt „Kinderformularium.DE“ wird von Prof. Neubert gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Rascher, ehemaliger Direktor der Kinderklinik des Uni-Klinikums Erlangen, geleitet und vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert.

„Vereinfacht gesagt, können wir eine Tablette für ein Kind nicht einfach halbieren – die Sache ist komplizierter“, erläutert Prof. Neubert. „Die Gabe eines Medikaments ist von zahlreichen Faktoren abhängig, beispielsweise vom Körpergewicht oder vom Entwicklungsstatus.“ Viele Arzneimittel sind nur für Erwachsene zugelassen, da es keine ausreichende Studienlage für die Verabreichung bei Kindern und Jugendlichen gibt. „Das muss aber nicht bedeuten, dass ein Medikament für Heranwachsende gefährlich ist“, betont Antje Neubert. „Wir können das Nutzen-Risiko-Verhältnis in sehr vielen Fällen mithilfe von wissenschaftlicher Literatur beurteilen.“ Auf dieser Grundlage bewerten Experten die wissenschaftliche Basis für Empfehlungen, ob und in welcher Dosierung das Arzneimittel Kindern und Jugendlichen gegeben werden kann. „Diese aufwendige Abwägung kann natürlich nicht jeder niedergelassene Kinderarzt im Praxisalltag selbst übernehmen“, ergänzt die Naturwissenschaftlerin. „Deswegen haben wir das Kinderformularium entwickelt. Dort erhalten unsere Kollegen mit einem Klick Dosierungsempfehlungen sowie weitere Pädiatrie-spezifische Arzneimittel­informationen. So ist ein sachgerechter und ungefährlicher Off-Label-Use möglich.“ Ziele der Erlanger Experten sind zum einen die bessere und sicherere Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Arzneimitteln. Zum anderen wollen sie die entsprechenden Informationen für Ärzte und Apotheker in Deutschland einfach und kostenfrei zugänglich machen.

Initiative aus Erlangen

Prof. Neubert, die auch die Zentrale für klinische Studien in der Pädiatrie in der Kinderklinik des Uni-Klinikums Erlangen leitet, und ihr Team arbeiten schon seit vielen Jahren intensiv zur Arzneimitteltherapiesicherheit bei Kindern und Jugendlichen. Mit ihrer Idee wandten sie sich an das Bundesministerium für Gesundheit, das sie im Rahmen des Aktionsplans Arzneimitteltherapiesicherheit förderte. „Wir mussten das Rad glücklicherweise nicht ganz neu erfinden“, erläutert Prof. Neubert. „Um ein nachhaltiges Arzneimittelinformationssystem für Kinder und Jugendliche zu etablieren und vorhandene Kenntnisse zu nutzen, haben wir einen Lizenzvertrag mit dem niederländischen Kinderformularium geschlossen.“ Das NKFK – Nederlands Kenniscentrum Farmacotherapie bij Kinderen bot sich als Projektpartner an, da sich das Zentrum auf nationaler Ebene bereits etabliert hat und seine Dosierungsempfehlungen größtenteils auf systematischen Recherchen der Primärliteratur, den sogenannten Nutzen-Risiko-Analysen, basieren. „Damit war das niederländische Kinderformularium für uns der ideale Ausgangspunkt, um das Kinderformularium.DE zu entwickeln“, sagt Antje Neubert.

Ausführliche und sorgfältig geprüfte Informationen

Die bestehenden Inhalte wurden von den Erlanger Experten für Kinderarzneimittel sorgfältig geprüft, durch eigene Recherchen erweitert und auf Deutschland angepasst. Darüber hinaus haben sie Informationen zum Zulassungsstatus, zu kinderspezifischen Nebenwirkungen, zu Kontraindikationen sowie Warnhinweise ergänzt. Anschließend wurde die Datenbank bundesweit im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie geprüft. Unter dem Dach des Projekts „KiDSafe“, das durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert wird, durften Kollegen in zwölf Kliniken und über 150 Arztpraxen das deutsche Kinderformularium exklusiv nutzen und kritisch unter die Lupe nehmen. „Mit Kinderformularium.DE ist es uns gelungen, ein umfangreiches Arzneimittelinformationssystem zur evidenzbasierten Anwendung von Medikamenten bei Kindern und Jugendlichen online sowie kostenlos zur Verfügung zu stellen“, freut sich Prof. Neubert. „Es ist gleichzeitig ein wichtiger Schritt in Richtung eines international harmonisierten Werkes.“

Website Kinderformularium.DE: www.kinderformularium.de

Publikation über die Entwicklung und Evaluation der Datenbank: https://www.mdpi.com/2226-4787/9/1/8

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Antje Neubert
Telefon: 09131 85-36874
E-Mail: formularium.kinder(at)uk-erlangen.de